Mittwoch, 19. März 2008

Arbeitsgericht

19. März 2008
Vor dem Arbeitsgericht bekommt niemand seinen Job wieder

Der Richter kommt herein, legt die Akten auf den Tisch, rückt das Diktiergerät zurecht, der Tisch mit Kläger und Anwalt auf der einen und Anwalt des Beklagten auf der anderen Seite, steht quer zum Richtertisch.

“Haben sich die Parteien inzwischen geeinigt?” fragt der Richter. Beide Anwälte schütteln mit dem Kopf. Damit ist der Gütetermin geplatzt, der Richter blättert in seinem Terminkalender, setzt einen Termin für die Hauptverhandlung an.

“Schriftsätze bitte immer in dreifacher Ausfertigung”, verabschiedet er die Parteien, den Raum betreten andere Anwälte, ihnen folgen vier Männer, die an der Tischseite für Kläger Platz nehmen.

Kein Geld bekommen

“Ihre Mandanten sind auf Montage gewesen und haben nie Geld bekommen?” kennt der Richter diesen Pappenheimer offenbar bereits. Der Kläger-Anwalt und die vier Männer nicken, der Anwalt des Beklagten vertieft sich so sehr in ein Schriftstück, dass er seine Umgebung nicht mehr wahr zu nehmen scheint.

“Deswegen sind Ihre Mandanten nicht mehr zur Arbeit erschienen? Dann wurde ihnen fristlos gekündigt? Wegen Arbeitsverweigerung?”

Wieder nicken der Kläger-Anwalt und die vier Männer. Das Schriftstück, das der Anwalt des Beklagten vor sich liegen hat, muss sehr spannend sein.

“Ich kann nun aus den fristlosen Kündigungen ordentliche Kündigungen machen, aber davon bekommen Ihre Mandanten Ihr Geld auch nicht”, weiß der Richter nicht mehr weiter. Schweigen. Der Anwalt des Beklagten blättert um. Der Richter greift zum Diktiergerät, spricht sein Urteil auf Band, die Arbeitsverhältnisse werden mit ordentlicher Kündigungsfrist für beendet erklärt, diese Frist ist bereits abgelaufen. Die Abfindungen, die vom Richter festgesetzt werden, können die vier Männer abschreiben. Weg ist der Anwalt des Beklagten. Das anscheinend so spannende Schriftstück lässt er liegen. Es handelt sich um einen ausgedruckten Zeitungsbericht über die jüngsten Turbulenzen auf dem Finanzmarkt.

Kündigung per SMS

Im Saal springt der Zeiger der Uhr auf 10, der Richter kehrt an seinen Tisch zurück, ruft die nächsten Parteien auf. Die Klägerin fixiert einen Punkt neben der Eingangstür, ihr Anwalt kramt in seinem Aktenkoffer, der Anwalt der Beklagten faltet seine Hände.

“Ihre Mandantin hat in einem Fitnessstudio gearbeitet. Dann bekam sie die fristlose Kündigung per SMS”, schildert der Richter diesen Fall einer modernen Vertragsauflösung. Der Anwalt der Klägerin ist in seinem Aktenkoffer fündig geworden, er öffnet die Dose mit den Pfefferminzbonbons, sie schmecken ihm.

Der Richter schaut den Anwalt der Beklagten an: “Ihnen ist doch wohl klar, dass diese Kündigung nicht wirksam ist?” Ist ihm klar. Er wird sich in das Urteil fügen. Das Diktiergerät hält fest, dass die Klägerin ihren Job zwar los ist, aber erst am Ende des Monats. Obendrauf gibt es die übliche Abfindung.

Niemand bekommt an diesem Vormittag seinen Arbeitsplatz wieder, das Kündigungsschutzgesetz, das einige Politiker lockern wollen, ist schon vor vielen Jahren außer Kraft gesetzt worden. Nur bei der Höhe der Abfindung spielt dieses Gesetz noch eine Rolle.

Kritisches passt nicht zur Zeitung

So auch um 11 Uhr, als ein Redakteur als Kläger auftritt, auf die Hilfe eines Anwaltes hat er verzichtet. Für diese Verhandlung nimmt sich der Richter Zeit. Der Anwalt des Beklagten fühlt sich nicht wohl in seiner Haut, er rutscht auf seinem Stuhl hin und her, schlägt die Beine übereinander, setzt wieder beide Füße auf den Boden.

“Der Kündigungsgrund ist kritische Berichterstattung, die angeblich nicht zur Zeitung passt?” erkundigt sich der Richter bei dem nervösen Anwalt, der kurze Zeit sein Gesäß lüftet.

“Und das steht auch noch im Kündigungsschreiben?” bohrt der Richter weiter. “Und ich dachte immer, Redakteure sollen kritisch berichten.”

Jetzt sieht der Richter den Kläger an. “Dort wollen Sie doch bestimmt nicht mehr arbeiten, oder?”

“Unter diesen Umständen nicht”, stimmt der Kläger zu. “Aber ich habe meine Arbeitskraft persönlich angeboten. Seitdem habe ich Hausverbot.”

Nach 20 Minuten ist die Entscheidung reif für das Diktiergerät: wieder ordentliche Kündigung und Abfindung.

Aufgerufen wird eine Frau um die 50, die schnurstracks von der Eingangstür zu den Zuschauerstühlen abbiegt. “Ihr Platz ist hier vorne”, ruft der Richter ihr zu, “rechts von mir.”

Die Frau kehrt um und sitzt nun dem Richter allein gegenüber. “Ihr Anwalt hat sich verspätet?” Die um die 50-Jährige blickt ein wenig ratlos aus ihrem gestreiften Kleid. Der Richter lehnt sich zurück. “Und der Anwalt des Beklagten ist auch nicht da.”

Der Zeiger der Uhr springt auf 11.35 Uhr. Draußen zwitschert ein Vogel. Die Tür zum Gerichtssaal wird geöffnet, ein männliches Wesen in Gerichtsdiensten teilt mit: “Der Anwalt M. hat angerufen. Er steckt in einem Stau.”

Und draußen neben der Eingangstür hängt immer noch das Messingschild mit der Aufschrift “Arbeitsgericht”. Wer weiß - warum?

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Montag, 17. März 2008

Im Supermarkt

17. März 2008
In einem Supermarkt braucht man keine Uhr

In einem Supermarkt braucht man keine Uhr: Wenn Rentnerinnen und Rentner zwischen den Regalen und Stolperfallen, auf denen Sonderangebote präsentiert werden, das stets etwas hektische Einkaufsbild bestimmen, ist es früher Morgen, toben kleine Schulkinder durch die Gänge, hat die Mittagszeit begonnen, bilden Männer in Arbeitskleidung die Mehrheit, ist es zwischen 16 und 17 Uhr, wenn ich dort bin, ist bald Kassenschluss, dann werden kaum noch große Einkäufe erledigt, sondern eher solche, über die man nachdenkt.

Vor mir steht: ein Mann, der 36 Flaschen Bier und vier Bananen bezahlen muss - und ich frage mich, ob ich einen Partytrend verschlafen habe, denn von Feiern, bei denen es zu Bier keine Chips und Salzstangen gibt, sondern in Scheiben geschnittenes Obst, habe ich noch nie gehört.

Hinter mir wartet: ein Mann mit einer Flasche Korn, einer Tüte Milch und Toilettenpapier. Darüber denke ich gar nicht erst nach, sondern betrachte den Ständer mit den Ü-Eiern. Wieder versteckt sich in jedem siebten Ei eine Figur und erneut ist jede siebte Einbuchtung frei. Den Werbespruch haben offenbar viele immer noch nicht so ganz verstanden.

Hinter der Kasse sitzt: auch ein Mann. Dennoch klebt neben dem Fließband der Hinweis „Wenn Sie eine Rechnung brauchen, fragen Sie bitte die Kassiererin!“ Die hat aber schon Feierabend…

Draußen wartet: mein Hund. Zwei Kinder verkürzen ihm die Wartezeit und ein Kleiner erklärt einem noch Kleineren, dass mein Hund so etwas Ähnliches sei wie eine Katze, nur eben etwas anders. Gleich sei allerdings: „Beide haben vier Beine.“ Über meine Frage, was mein Hund wäre, wenn er ein Bein verlöre, denkt der Größere von den beiden Kleinen wohl noch nach.

Auf der anderen Straßenseite treffe ich: zwei Jugendliche, die mich fragen, ob es in der Nähe einen Supermarkt gibt. Ich zeige auf die Leuchtreklame, die eigentlich niemand übersehen kann. Wenn man solche Leute trifft, hat der Supermarkt gerade geschlossen.

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