16. Januar 2009
Und nun: Über 600 Jahre Gefängnis für Klaus Zumwinkel?
Wilhelmshaven: Ein 26-Jähriger muss sechs Wochen ins Gefängnis, weil er das Jobcenter um 160 Euro betrogen hat. Nach dem Amtsgericht warf ihm auch das Oldenburger Landgericht „Betrug durch Unterlassen“ vor. Verschwiegen hatte der Langzeitarbeitslose eine Nebenbeschäftigung in einem Restaurant. Monatliches Einkommen: 200 Euro. Nach diesem Urteil ist auch noch möglich: Der 26-Jährige muss nicht nur diese Strafe, sondern zwei weitere Bewährungsstrafen absitzen.
Bochum: Au, weia! Die Strafe, die den ehemaligen Postchef Klaus Zumwinkel erwartet, kann man nun gar nicht mehr ausrechnen. Aber man kann es versuchen: Oldenburg auf Bochum umgerechnet, bedeutet: Ein Tag Gefängnis für vier unterschlagene Euro. Vorgeworfen wird Klaus Zumwinkel die Unterschlagung von knapp einer Million Euro an Steuern zwischen 2002 und 2006. 2001 hat das Bochumer Landgericht schon herausgerechnet. Das ist verjährt.
Ist man genauso großzügig wie diese Richter, dann lautet die Gefängnisstrafe für Klaus Zumwinkel: 250 000 Tage, das sind über 600 Jahre. Ob man so etwas noch zur Bewährung aussetzen kann, sei dahingestellt. Schließlich ist der ehemalige Postchef nicht mehr der Jüngste.
Doch so argumentieren darf man in Deutschland nicht: Die Verhandlung vor dem Bochumer Landgericht ist auf zwei Tage angesetzt, zu einem „Also, so geht das nicht!“ der Staatsanwaltschaft wird es also gerade noch reichen. Zu mehr nicht. Klaus Zumwinkel zahlt die unterschlagene Summe und verlässt als freier Mann den Gerichtssaal. Darauf dürfen durchaus Wetten angenommen werden.
Wilhelmshaven: Dem 26-Jährigen kann man nur raten: Sobald er das Gefängnis wieder verlassen hat, alles dem Jobcenter melden. Das läuft dort so: Anträge landen erst einmal in der falschen Abteilung, Meldungen über Nebeneinkünfte stapeln sich auf Schreibtischen überforderter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Hat die Bearbeitung stattgefunden, einigt man sich auf eine Ratenzahlung für die zu viel gezahlten Leistungen des Jobcenters. Das ist immer noch besser als Gefängnis.
Wäre der 26-Jährige übrigens als Beschäftigter des Restaurants eines Tages so erfolgreich gewesen, dass er sich hätte selbstständig machen können, wäre ein ähnlicher Lebenslauf möglich wie der dieses Wilhelmshaveners. Seine Erfahrungen:
„´Fordern und fördern” lautet das Motto der Jobcenter? Unaufgefordert jedoch wird man schnell in einen Papierkrieg befördert, der unter Umständen länger dauern kann als der 30-jährige Krieg. Da hilft nur eins: Anträge zurückziehen, die Waffen strecken. Sonst wird nie etwas aus einer Idee, wie aus meiner, die ich bei einem Chat mit einem Fan von Dynamo Dresden hatte: Bundesweite Seiten einrichten für die Fans aller Fußballvereine, dort Aktionen vorstellen, gemeinsame Begeisterung entfachen.
“Gute Idee”, fand der Niedersächsische Fußballverband. Also stellte ich schon einmal ein paar Seiten ins Netz, denn Werbung konnte nie schaden. Informiert wurde von mir auch das Jobcenter, ich schaltete sogar eine Anzeige in der ´Wilhelmshavener Zeitung´. Zwischenzeitlich hatte mich das Jobcenter dazu aufgefordert: Wenn Sie mit diesen Fan-Seiten den Sprung in die Selbstständigkeit wagen wollen, dann unterrichten Sie bitte das Finanzamt, das Gewerbeaufsichtsamt und die Künstlersozialkasse, die für die Sozialversicherung zuständig wäre, wenn aus einem Hobby eine ´gewerbsmäßige Tätigkeit´ wird.
Wurde erledigt - und von der Künstlersozialkasse bekam ich auch umgehend einen Formularsatz, vom Jobcenter einen Antrag auf Gewährung von Einstiegsgeld für sechs Monate. Füllte ich aus. Zwei Monate später meldete sich erneut die Künstlersozialkasse, forderte Nachweise über meine bisherigen Einnahmen, die ich noch gar nicht haben konnte, weil es noch gar keine Entscheidung des Jobcenters gab.
Dort tüftelte man derweil weitere Fragen an mich aus, die mir zwei Wochen später zugestellt wurden. Manches grenzte schon an Spionage, denn gefordert wurde von mir beispielsweise der Nachweis, dass ich bei einer Förderung meinen Computer nur beruflich, keinesfalls privat nutzen würde. Vorlegen sollte ich außerdem eine ´bisherige´ Gewinn- und Verlustrechnung für meine Fan-Seiten, die aus der Planungsphase noch gar nicht herausgekommen waren.
Andererseits ließ das Jobcenter Zweifel an meinem Projekt durchschimmern und erkundigte sich zum wiederholten Male, wie ich mit den Fanseiten überhaupt Einnahmen erzielen wollte. Das hatte ich zwar schon erläutert, aber doppelt und dreifach fragen ist wohl besser, wenn man nie zuhört. Und ich würde die Behörden, die ich auf Geheiß des Jobcenters über meine Idee informiert habe, wohl nie wieder los werden.
´Jetzt geht es los´, singen die Fans, wenn es für die eigene Mannschaft gut läuft, aber noch besser werden könnte. Das Jobcenter jedenfalls hätte ich besser nicht über meine Idee informiert. Denn: Wenn etwas aus den Fan-Seiten werden soll, muss ich es allein probieren.
´Fordern und fördern´ ist eben wohl doch nur eine Floskel in Sonntagsreden. Gefördert worden wäre ich übrigens mit höchstens der Hälfte des Regelsatzes, also mit monatlich 172,50 Euro. Die erste Rate habe ich inzwischen bereits ausgegeben, ohne das Geld jemals erstattet zu bekommen - mehr kann ich mir nicht leisten…
Das machte ich dem Job-Center bei einem persönlichen Gespräch noch einmal klar. Die Reaktion: Achselzucken…“
Noch einmal Wilhelmshaven: Dort hat sich im Juni 2007 der stellvertretende Geschäftsführer des Jobcenters wutentbrannt verabschiedet, er ließ Türen knallen und stieg in sein Auto. In der Hunte bei Oldenburg fand er den nassen Tod. Nach diesem Selbstmord ließ die Staatsanwaltschaft ein paar Informationen über Unterschlagungen durchsickern und verhängte dann eine Nachrichtensperre. Die ist offenbar immer noch nicht aufgehoben worden. Fragen werden nicht beantwortet. Auch die neue Geschäftsführung des Jobcenters kann in diesem Fall eines bestens: nicht antworten.
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