Freitag, 27. August 2010

Der Angsthase

27. August 2010
Thilo Sarrazin hat mehr als ein Schuljahr verloren

"Als 13-jähriger Schüler wollte ich schon gerne Latein lernen, ich wollte auch jeden Tag eine Seite Vokabeln in der Wortkunde üben, ich tat es nur nicht, trotz vieler Ermahnungen von Eltern und Lehrern. Am Ende blieb ich sitzen, unter anderem mit einer Fünf in Latein, die ich zu Recht bekam. Das war mir eine Lehre...Bei mir hat die Sanktion und die Furcht, es nicht zu schaffen, gewirkt (sie wirkt übrigens bis heute)..."

Schreibt Thilo Sarrazin in seinem Buch "Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen", das am 30. August in die Buchhandlungen kommt. "Bild" hat mich per Vorabdruck schon einmal einen Blick hinein werfen lassen. In der zitierten Passage hat sich der 65-Jährige wohl im Wort vertan. Er meint Angst, nicht Furcht.

Ansonsten vertut sich Thilo Sarrazin in vielen Gedankengängen. Merke: Der Mann ist Vorstand der Bundesbank, also ein Währungshüter. Wie hart eine Währung ist, hängt von inneren und von äußeren Faktoren ab. Das ist aber die einzige Gemeinsamkeit mit Sozial- und Gesellschaftspolitik. Eine Währung schützt man anders als Menschen.

Darum geht es dem 65-Jährigen aber gar nicht. Offenbar trauert er immer noch dem verlorenen Schuljahr nach und rechnet in Gedanken aus, dass eine Hartz-IV-Familie in dieser Zeit bis zu 16 800 Euro bekommt. Das muss Thilo Sarrazin weh tun. Weh tut ihm möglicherweise auch, dass er als Sitzenbleiber nur Vorstand der Bundesbank ist, wäre er als 13-Jähriger fleißiger gewesen, hätte er es weitergebracht.

Solche Leute neigen zur Rumhackerei auf anderen Leuten. Thilo Sarrazin macht das in dem "Bild"-Auszug mit einer gewissen Carola G. Die lebt im Ruhrgebiet, ist 46 Jahre alt und hat in den vergangenen vier Jahren von der Agentur für Arbeit sechs Jobs angeboten bekommen. Keinen hat sie genommen. Was für Jobs das waren, verrät Thilo Sarrazin nicht. Interessiert ihn auch nicht. Er vertritt die These, dass Carola G. zu viel Hartz IV bekommt und deswegen keinen Job annimmt.

Anschließend weist Thilo Sarrazin darauf hin, dass Aktivierungsprogramme nicht viel bringen. Und dann wird er wirtschaftspolitisch? Macht Vorschläge für den Arbeitsmarkt? Kann er nicht? Der Mann will nicht. Der setzt auf Druck, wie er als Währungshüter andere Währungen unter Druck setzt, wenn die eigene Währung gefährdet ist. Sein Druckmittel bei Hartz-IV-Empfängern: Gegenleistung erbringen oder kein Geld mehr bekommen.

Für Thilo Sarrazin ist Sozial- und Gesellschaftspolitik ein Börsenspiel. Zeigt die Kurve nach oben, ist alles gut. Sonst ist Kampf angesagt. Den immer mehr verlieren. Das schreibt der 65-Jährige sogar. Die Schuld dafür schiebt er Hartz-IV-Empfängern in die Schuhe. So werden aus Opfern Täter. Die auch noch mehr Kinder bekommen als andere, klagt er. Früher sind Sündenböcke in die Wüste geschickt worden, ab 30. August werden sie auf 464 Buchseiten von Thilo Sarrazin verwüstet.

Sollten gewisse Kreise die Thesen des 65-Jährigen in den falschen Hals bekommen, wäscht dieser Bundesbanker seine Hände in Unschuld.

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