Freitag, 30. April 2010

Mein virtueller Briefkasten

30. April 2010
Kreditkarte weg - geile Hausfrauen da?

Öffne ich morgens meinen virtuellen Briefkasten, reibe ich mir den Schlaf aus den Augen. Meine Kreditkarte ist gesperrt, wird mir im ersten Betreff mitgeteilt.  Hätte ich eine, wäre das nicht weiter schlimm, denn darunter steht "Sie haben 500 000 Euro gewonnen". Das hat sich offenbar bereits herumgesprochen, denn aus dem dritten Betreff erfahre ich, dass neuerdings geile Hausfrauen ganz in meiner Nähe wohnen.

Um die kann ich mich aber noch nicht kümmern, denn erst einmal soll ich mich ganz dringend bei einem meiner Provider melden, weil der angeblich noch ein paar Daten benötigt. Kann aber nicht stimmen, denn ein paar mails weiter erfahre ich "Ihr Zugang ist wieder frei".

Ein Betreff klingt seriös, angeblich geht es um den Containerhafen, der in Wilhelmshaven gebaut wird. Der mail-Schreiber behauptet, er sei Mitglied einer asiatischen Regierung, die gegen das Projekt klagen will. Dennoch wohnt er in Tübingen. Muss sich wohl um eine Exilregierung handeln.

Jede dieser Mitteilungen ist an meinem Spam-Filter vorbeigschmuggelt worden. Diese auch noch: Mein Sicherheitssystem weist Lücken auf. Das scheint zu stimmen. Doch einen Spamfilter, der alles Unsinnige von mir fern hält, scheint es wohl nicht zu geben.

Mein Telefon klingelt. "Hast du meine mail bekommen?" fragt eine mir sehr bekannte Stimme. Die muss ich mit all dem anderen Kram weggeworfen haben.

Montag, 26. April 2010

Kruzifixe in Schulen

26. April 2010
Özkan noch nicht im Amt - schon Stress

Nach der Wahl hat der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff eine unfähige Ministerin und einen unfähigen Minister die Posten wechseln lassen, jetzt berief er vier Neue. Mit der designierten Sozial- und Integrationsministerin Aygül Özkan hat er schon Stress. Die Muslimin vertrat die Auffassung, dass weder Kruzifixe noch Kopftücher in Schulen gehören.

Die bayerische CSU hangelt sich inzwischen von Gipfelkreuz zu Gipfelkreuz und wirft dem niedersächsischen Ministerpräsidenten vor, die neue Ministerin nicht genügend über die von der CDU angeblich hoch gehaltenen christlichen Werte aufgeklärt zu haben. Für Maria Böhmer (CDU) als Beauftragte der Bundesregierung für Migration gehören Kreuze zur "jahrhundertealten christlichen Tradition in Deutschland".

Worum es aber wirklich geht, sagt CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt. Er fürchtet eine "Verunsicherung" der Stammwähler seiner Partei. Die haben fürwahr genug daran zu knabbern, dass in Niedersachsen bald eine Muslimin zur Regierung gehört. Sieht für CSU-Stammwähler bestimmt wie eine schleichende Islamisierung aus.

Alle Klardenkenden werden dagegen sagen: "Lasst die Kirche im Dorf." In der Bundesrepublik Deutschland gibt es eine strikte Trennung von Staat und Kirche. Also hat Aygül Özkan Recht. Klaus Wowereit (SPD) verweist in diesem Zusammenhang auf das Bundesverfassungsgericht.

Erstaunlich ist immer wieder, wie aufgeregt angeblich christliche Politikerinnen und Politiker reagieren, wenn es um Symbole geht und um angeblich damit einhergehende Werte. Da der Parteialltag meistens anders aussieht, steht man staunend daneben.

"An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen", hat Jesus gesagt - nicht an Kreuzen, die in Schulen hängen. Wenn die CSU einen (christlichen) Gottesstaat will, soll sie das sagen. Schon wäre sie verfassungswidrig...

Sonntag, 25. April 2010

Müll in "Bild am Sonntag"

25. April 2010
Peter Hahne verschreibt sich im Ton

Da gerade eine als Braut verkaufte 14-Jährige Schlagzeilen macht, stellt sich Peter Hahne in der "Bild am Sonntag" die Frage "Wie können wir verhindern, dass in unserem Land ein Parallel-Staat entsteht?" Seine Antwort: Wir müssen mehr wissen "über Traditionen und Bräuche der über drei Millionen Türkisch-Stämmigen, die unter uns leben". Dagegen ist nichts zu sagen. Ansonsten müsse deutsches Recht gelten.


Dann beschäftigt sich Peter Hahne mit einem angeblichen Brauch der "Türkischstämmigen" und verschreibt sich im Ton: "Ich will mich nicht darüber aufregen, wenn jetzt wieder ganze Sippen in die Stadtparks strömen, um halbe Hammel am Spieß zu drehen und Müllberge hinterlassen."

Und schon denke ich an dunkelhaarige Kinder, die bei Hundespaziergängen an mir vorbei tollen und wünsche mir, dass sie und ihre Eltern die deutsche Sprache nicht beherrschen. So wären sie geschützt vor derartigem Müll in der "Bild am Sonntag".

Donnerstag, 22. April 2010

Gelogen hat er nicht?

22. April 2010
Bischof Mixa tritt zurück

Nun bekommt er vom Papst vielleicht noch einen warmen Händedruck, bei allen Katholiken, bei Heimkindern und beim lieben Gott entschuldigt er sich: der Augsburger Bischof Walter Mixa tritt zurück. Der Druck von allen Seiten ist zu groß geworden.


Diese Botschaft ist noch nicht in allen katholischen Kreisen angekommen. Die lassen verlauten, Mixa sei doch von einem Redakteur der "Bild am Sonntag" lediglich nach den Prügelvorwürfen gefragt worden. Die habe er zurückgewiesen. Von Ohrfeigen sei gar nicht die Rede gewesen. Deswegen könne er zu diesem Thema nicht gelogen haben. Mixas Reaktion sei nur falsch gewesen.

Soll wohl eine Lehrstunde für Journalisten sein, die nicht präzise genug fragen. Auf andere Themen übertragen, würde sie bedeuten: Hat jemand Dollar unterschlagen, darf er Unterschlagungen bestreiten, wenn der Redakteur von Euro spricht, ist jemand in einen Supermarkt eingebrochen, darf er Einbruch verneinen, wenn er eine Tankstelle überfallen hat...

Fakt ist aber: Walter Mixa hat in dem Interview mit der "Bild am Sonntag" nicht nur Prügelvorwürfe bestritten, er hat auch Gewaltfreiheit betont. Wenn man gewisse Stellungnahmen liest, darf man offenbar kein gutes Gedächtnis haben.

Nun wähnen katholische Kreise ihre Kirche auch noch fast am Abgrund. Schuld daran wären selbstverständlich die Medien, denen Einhalt geboten werden muss, wenn sie von einem Skandal sprechen. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn diese Organisation noch die Macht früherer Tage hätte.

Freitag, 16. April 2010

Heuchler Mixa

16. April 2010
Nun doch Ohrfeigen für Kinder?

Heuchler - dein Name ist Walter Mixa. Nun schließt dieser katholische Bischof nicht mehr aus, dass er als Schrobenhausener Stadtpfarrer und Lehrer Kindern Ohrfeigen verpasst hat. Erst weiß der Mann von nichts, dann will er als Nichtwisser mit den Betroffenen sprechen, jetzt hält er laut "Welt" die "eine oder andere Watsch´n von vor zwangzig oder dreißig Jahren" für möglich. Ohrfeigen seien damals "vollkommen normal" gewesen, "alle Lehrer und Schüler dieser Generation" wüssten das.

Das wüsste dann aber auch ich. Ich habe von 1956 bis 1965 die Volksschule besucht, von 1965 bis 1967 die Mittlere Handelsschule und von 1969 bis 1972 ein Gymnasium. Meine Schulzeit endet also vor 38 Jahren. In der Volksschule habe ich körperliche Strafen noch erlebt, in der Handelsschule und im Gymnasium nicht mehr. Schon da hat es die Anordnung gegeben, dass Lehrerinnen und Lehrer ihre Hände still zu halten haben.

Bereits in den 1970er-Jahren sind so genannte "Körperstrafen" als "barbarisch" eingestuft worden. Als letztes Bundesland schaffte Bayern 1980 die Prügelstrafe ab. Der katholische Bischof Walter Mixa ist also nicht nur ein Heuchler, sondern auch ein Lügner.

Als er vor 20 oder 30 Jahren Kindern "möglicherweise" Ohrfeigen verpasst hat, war derartiges Verhalten von Pädagogen längst geächtet. Jedenfalls außerhalb des kirchlichen Erziehungs-Sektors. Zuschlagen galt nicht mehr als "normal".

Will dieser katholische Bischof fortan Geständnisse scheibchenweise verbreiten und jedes Geständnis mit windigen Argumenten verteidigen? Was kommt da noch? Irgendwann auch noch das Argument "Schläge lockern den Heiligen Geist. Dann kann er frei fließen"?

Sonntag, 11. April 2010

Mit Polen weinen

11. April 2010
Oder mit dem Hund unterwegs sein?

"Bild" macht auch an diesem Sonntag Schlagzeilen - die wichtigste steht selbstverständlich auf Seite 1 und gehört zum Flugzeugunglück mit 96 Toten, darunter der polnische Präsident Lech Kaczynski. Sie lautet "Polen, wir weinen mit Dir!" Ich werfe die Zeitung in meinen Fahrradkorb und radele mit meinem Hund los. Um diese Zeit sind sonst viele unterwegs. Heute keiner. Sitzen etwa alle weinend zuhause - nur ich nicht? Dafür schäme ich mich während der Weiterfahrt.

Mein Hund schnuppert einer Hundedame nach, ich blättere in der Zeitung. Auf Seite 7 erfahre ich: "Poldi spielte mit Trauerflor". Der Nationalspieler sagt: "Bei so einer Katastrophe versteht man, dass andere Dinge im Leben wichtiger sind als Fußball." So hat er am Samstag in Hoffenheim auch gespielt. Der 1. FC Köln gewann trotzdem. Alle weinen - und ich denke an sowas?

Noch eine Seite "Die Tragödie von Smolensk" - dann wird´s in der "Bild am Sonntag" innenpolitisch. Von Seite 15 strahlt mir der NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers entgegen - trotz Flugzeugunglück und trotz der Schlagzeilen-Frage "Zahlen Sie die Zeche für das Berliner Chaos, Herr Rüttgers?" Zahlt er nicht, steht darunter. Er werde die Landtagswahl gewinnen. Am 10. Mai 2010 die Schlagzeile "CDU, wir weinen mit Dir" darf ich also ausschließen.

Dann endlich mein Lieblingskolumnist Peter Hahne auf Seite 19. Der fragt sich: "Macht mich Hochdeutsch zum Weltmann und Dialekt zum Provinzler?" Kann ich nicht beurteilen. Irgendwie bin ich heute völlig neben der "Bild am Sonntag". Mein Hund hat genug Geruch einer Hundedame in der Nase, läuft weiter. Ich hinterher.

Dienstag, 6. April 2010

Vom Vater missbraucht

30. März 2010
Annäherungen an ein Tabu-Thema

So weit ist es also gekommen: Jetzt hat die katholische Kirche einen Sonderbeauftragten für alle Fragen im Zusammenhang des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger in der Kirche. Stephan Ackermann heißt er, der 46-Jährige kommt aus Trier und ist Bischof. Organisiert wird derzeit eine Telefonaktion. Melden können sich Opfer und Täter.

Die Bundesregierung dagegen hat keinen Sonderbeauftragten, sondern eine Sonderbeauftragte für das Thema sexueller Missbrauch. Christine Bergmann heißt sie, die 70-Jährige kommt aus Dresden und ist Familienministerin gewesen.

Vor 30 Jahren war sexueller Missbrauch noch ein Tabu-Thema, die so genannte "Frauenbewegung" brach mit diesem Tabu - viele Opfer jedoch schwiegen weiter. Oder erzählten ihre Leidensgeschichte hinter vorgehaltener Hand einer Freundin oder einem Freund. Jede dieser Geschichten begann mit dem Satz: "Das erzähle ich nur dir..."

Wie Sabine K. Sie wohnt in einer Kleinstadt, ist dort aufgewachsen, als sie acht Jahre alt war, stand ihr Vater nach Mitternacht zum ersten Mal vor ihrem Bett. Er kam aus einer Kneipe, fummelte an ihr herum. Die Achtjährige erstarrte, ließ es geschehen. Danach war ihr tagelang schlecht. "Dich hat es aber schlimm erwischt", sagte die Mutter. "Das wird schon wieder", sagte der Vater. Sabine K. schwieg, nachts lauschte sie in die Dunkelheit, fürchtete sich vor jedem Geräusch. Besonders groß war ihre Angst, wenn ihr Vater einen Kneipenbummel machte. Dann wusste sie: "Er kommt in mein Zimmer."

Mit jedem Missbrauch wuchs die Scham von Sabine K., sie gab sich die Schuld für die Verbrechen ihres Vaters, den alle für freundlich und hilfsbereit hielten. Sie war ein schlechtes Mädchen. Daran zweifelte sie nicht. An ihrem 13. Geburtstag wollte sie sich das Leben nehmen. Doch auch dafür reichte ihre Kraft nicht mehr. An diesem Tag verunglückte ihr Vater tödlich. Er krachte mit seinem Auto gegen einen Baum.

Sabine K. legte bei der Beerdigung eine rote Rose auf den Sarg ihres Vaters. Das fanden alle rührend. Sie empfand nichts. Schaute sich dabei zu. Ein schlechtes Mädchen hatte für immer Abschied genommen von seinem Vater.

"Seitdem funktioniere ich wie ein Roboter", sagt sie. "Ich gehe zur Arbeit. Wenn Feierabend ist, fahre ich nach Hause. Schlafe viel." Ihr Bruder kümmert sich um sie. Er teilt mit ihr eine Wohnung. "Sie ist nun einmal depressiv", sagt er, "wenn ich nur wüsste, warum..."

Teil 2

Diese Artikel beruhen auf wahren Begebenheiten, die so verfremdet sind, dass keine der realen Personen wieder erkannt werden kann.

Vom Vater missbraucht (II)

7. April 2010
Begegnung mit einer ehemaligen Satanspriesterin

In einem Café in einer Stadt im Ruhrgebiet hat sie neben mir gesessen, wenn ich mich bei einem Treffen ehemaliger Sektenmitglieder zu Wort meldete, ruhte ihr Blick auf meinem Gesicht, streichelte sie mich mit ihren Augen. So zärtlich ist, dachte ich, also eine ehemalige Satanspriesterin. Sie ging, bevor das Treffen beendet war. Sie wollte zu ihrer Tochter. Ich sah ihr nach.

Nach einigen Wochen hatte ich sie fast schon wieder vergessen, ich betrat ein Café in Hannover, dort saß sie. Hinten, in einer Ecke. Sie stand auf, kam auf mich zu, sagte: "Lass uns gehen!"

Auf dem Weg zu meiner Wohnung sagte sie kein Wort, sie sah mich an, als sei sie heimgekehrt. Sie musste mir nichts erklären. Ich wusste alles. Wir saßen in meinem Wohnzimmer, bis die Sonne unterging. "Mach das Licht nicht an", sagte sie und legte ihren Kopf auf meine Schulter. Sie schlief ein. Ich holte eine Decke,

Sie verschlief das Frühstück, sie wurde auch nicht wach, als ich mich auf den Weg zur Arbeit machte. Ich hinterließ eine Nachricht auf dem Wohnzimmertisch. Meine Gedanken blieben bei ihr. Kreisten um sie bis zum Feierabend. Wochenende.

"Setz dich bitte auf die andere Couch", sagte sie und gab mir einen Kuss. In den nächsten Stunden nahm sie mich mit auf eine Reise zum Teufel, den sie verehrt hatte, weil sie glaubte, er sei nach der Verbannung aus dem Himmel so einsam wie sie nach der ersten Nacht mit ihrem Vater, der sie zum ersten Mal missbraucht hatte, als sie 12 war. Als sie 15 war, lernte sie einen Jungen kennen, der aus Böse Gut machte, aus Lüge Wahrheit, der von ihr ein Kind wollte, das dem Satan geopfert werden sollte. sie wurde schwanger, hatte eine Fehlgeburt.

Mit 18  verdiente sie ihr Geld als Prostituierte, mit Sadomaso lockte sie Prominente an, peitschte auch katholische Priester aus, die sie anbeteten, weil sie diese Geistlichen leiden ließ. Dann sollte sie wieder ein Kind für den Teufel bekommen. Bei einer Schwarzen Messe. Sie packte ihre Koffer. Zog in eine andere Stadt. Machte ein Lehre. Bekam ein Mädchen. Nun hatte sie eine kleine Familie. Eine kleine Familie ohne Vater. Väter sind schlecht. Sie kommen nachts zu ihren Töchtern.

Sie beendete ihre Geschichte mit den Worten: "Ich werde mich umbringen." Dann setzte sie sich neben mich. Unsere Körper berührten sich nicht. Sie schwieg. Beantwortete keine meiner Fragen. Dann schwieg auch ich. Die Zeit tropfte in die Stille, bis uns die Augen zufielen.

Geweckt wurde ich von Geklapper in der Küche. Sie war wie verwandelt. Wirbelte zwischen Frühstückstisch und Kühlschrank hin und her. "Ich habe alles gefunden", sagte sie. "Ich werde dich verwöhnen. Wie  und wo du willst."

Sie blieb bis Montag. Wenn sie wieder von Selbstmord sprach, nahm ich sie bei der Hand, führte sie zum Spiegel im Flur und sagte ihr, wie schön sie war. Sie müsse nur hinschauen.

"So", sagte sie, "fahre ich manchmal Auto. Nackt. Dann gaffen die Männer. Wie blöd geworden. Das mag ich." Sie machte eine Pause. "Dich mag ich auch. Ich habe dich nur zu spät getroffen."

Sie verließ meine Wohnung, als ich bei einem dienstlichen Termin war. Nichts erinnerte mehr an sie. Als sei sie nie da gewesen.

Samstag, 3. April 2010

"Barbara" mischt Burgdorf auf

3. April 2010
Kleinstadt schreibt Porno-Geschichte

Mit einem Buch unter dem Arm kann man in einer Kleinstadt als Lokalredakteur schnell bekannt werden, nimmt man "Barbara" auch noch mit in ein Café, klingelt beim Chef das Telefon: "Ihr neuer Redakteur liest in aller Öffentlichkeit Pornografie."

Burgdorf bei Hannover hat selten bundesweite Schlagzeilen gemacht. Das gelang 1984. Büchereileiter Hans-Peter Mieslinger hatte bei der Büchergilde mehrere Bücher bestellt, eins war nicht im Paket. Es wurde nachgeschickt, landete auf dem Schreibtisch des städtischen Direktors Werner Becker, der in dem Roman blätterte. "Barbara" hieß dieser Roman, Autor war Frank Newman, der in seinem Werk eine gewisse Vorliebe für das Wort f... entwickelt hatte.

Der städtische Direktor teilte diese Vorliebe nicht, er rief den Büchereileiter ins Rathaus und hielt ihm vor, "Barbara" sei Pornografie. Diese Auffassung hatte ein Darmstädter Gericht, das sich bereits mit diesem Roman beschäftigt hatte, zwar nicht geteilt, aber Hans-Peter Mieslinger wollte man nach diversen Querelen irgendwie loswerden. Die Gelegenheit schien günstig zu sein.

Die Büchergilde hatte "Barbara" ein wenig erotisch entschärft, aber für die Stadtbibliothek war sie nach Auffassung von  Becker, Bindseil, CDU und FDP immer noch  zu scharf.  Fand auch Paul Rohde, der sich als freier Mitarbeiter des "Burgdorfer Kreisblattes" im Januar 1984 in einem Artikel über Mieslinger und "Barbara" hergemacht hatte.

Der 1. Februar 1984 war mein erster Arbeitstag bei der Lokalzeitung, ich rief die Büchergilde an, bestellte das Buch, bekam es ein paar Tage später und nahm es mit in ein Café. Die erotischen Schilderungen langweilten mich bereits nach kurzer Zeit, also machte ich mich auf den Weg zum Verlag, mein Chef stand vor seiner Bürotür: "Hier haben schon ein halbes Dutzend Leute angerufen."

Mit Paul Rohde einigte ich mich auf eine gewisse Arbeitsteilung, er ließ die "Barbara"-Gegner zu Wort kommen, ich widmete mich der Kunstfreiheit, bis Mieslinger die Kündigung bekam. Verwaltungschef und Büchereileiter hatten bis dahin mit so vielen Halbwahrheiten jongliert, dass überregionale Medien so manchen Schwindel nicht mehr durchschauten. Das galt auch für den "Spiegel". Der ebenfalls behauptete, auch ein Buch über Atombombenversuche sei wegen des Titels "Das Bikini-Atoll" in Porno-Verdacht geraten.

Hans-Peter Mieslinger klagte gegen die Kündigung, Gerhard Schröder hatte als Anwalt einen großen Medienauftritt vor dem Burgdorfer Gericht, der Richter ließ auch ein Kamerateam des NDR in den Saal: "Aber nur, wenn Sie ein paar Aufkleber für mich dabei haben." Hatte der Norddeutsche Rundfunk. Der Büchereileiter bekam eine Abfindung in Höhe von 40 000 Mark, gründete von diesem Geld eine Bücherei in Celle - "Barbara" nahm er nicht mit.

Weitere Kreisblatt-Geschichten

Donnerstag, 1. April 2010

Scientology-Spielfilm

1. April 2010
Wenn nichts mehr bleibt wird Jürg Stettler Pressesprecher

So sehen sie also aus: Scientologen, die gesünder, widerstandsfähiger und intelligenter sind als wir, die nach etlichen Saunagängen einen Atomkrieg überleben und Radioaktivität von sich abstreifen wie unsereins eine lästige Fliege, die in absoluter Freiheit leben, weil sie alles Negative hinter sich lassen, die nicht mehr sterben, sondern nur ihre Daseinsform ändern. Gestern nach dem Spielfilm "Bis nichts mehr bleibt" haben sie ein TV-Gesicht bekommen: Doppelkinn, etwas übergewichtig, Brille - Jürg Stettler, Pressesprecher.

Nichts fällt diesem Mann bei "Hart, aber fair" zu Einblendungen von Scientology-Behauptungen über Gerichtsurteile ein, die mit den Urteilstexten verglichen werden, die noch einmal eingespielten Spielfilm-Szenen zu Therapiemethoden und Kindererziehung entlocken ihm lediglich den Hinweis auf einen Link mit Gegendarstellungen seiner Organisation.

Wie der TV-Pastor, der neben ihm sitzt, macht Jürg Stettler die Fliege. Der Ruf nach seinem Rechtsbeistand klingt wie ein Hilferuf. Ein Spielfilm hat ihn erwischt. 90 Minuten aus einem Psycho-Konzern, der mit Blechbüchsen an einem Messgerät die Nadel von Trauma zu Trauma schwingen lässt, bis sie schwebt. Erinnerung gelöscht, die nächste bitte!

"Bis nichts mehr bleibt" spielt in einem Gerichtssaal. Ein Vater kämpft um seine Tochter. Seine Anwältin erklärt die Sprache des Psycho-Konzerns. Die Methoden. Der Vater erinnert sich. An einen Test mit merkwürdigen Fragen. An Therapiesitzungen, bei denen der Therapeut auf eine Nadel starrt und Fragen stellt, als sei er das personifizierte Messgerät für hinderliche Gefühle. An Zuckerbot und Peitsche. An eine Ehe, die ihm entgleitet, weil seine Frau weiter geht als er. An die Tage, an denen er auch seine Tochter verliert. Dann verliert er auch noch den Prozess.

Stimmt nicht, sagt dazu Jürg Stettler bei "Hart, aber fair". Diesen Prozess habe Scientology verloren. Denn auch das hat dieser Pressesprecher nicht mitbekommen: Bei "Bis nichts mehr bleibt" handelt es sich um einen Spielfilm mit mehreren Geschichten in einer Geschichte. So sehen sie also aus: die Scientologen, die gesünder, widerstandsfähiger und intelligenter sind als wir.