3. April 2010
Kleinstadt schreibt Porno-Geschichte
Mit einem Buch unter dem Arm kann man in einer Kleinstadt als Lokalredakteur schnell bekannt werden, nimmt man "Barbara" auch noch mit in ein Café, klingelt beim Chef das Telefon: "Ihr neuer Redakteur liest in aller Öffentlichkeit Pornografie."
Burgdorf bei Hannover hat selten bundesweite Schlagzeilen gemacht. Das gelang 1984. Büchereileiter Hans-Peter Mieslinger hatte bei der Büchergilde mehrere Bücher bestellt, eins war nicht im Paket. Es wurde nachgeschickt, landete auf dem Schreibtisch des städtischen Direktors Werner Becker, der in dem Roman blätterte. "Barbara" hieß dieser Roman, Autor war Frank Newman, der in seinem Werk eine gewisse Vorliebe für das Wort f... entwickelt hatte.
Der städtische Direktor teilte diese Vorliebe nicht, er rief den Büchereileiter ins Rathaus und hielt ihm vor, "Barbara" sei Pornografie. Diese Auffassung hatte ein Darmstädter Gericht, das sich bereits mit diesem Roman beschäftigt hatte, zwar nicht geteilt, aber Hans-Peter Mieslinger wollte man nach diversen Querelen irgendwie loswerden. Die Gelegenheit schien günstig zu sein.
Die Büchergilde hatte "Barbara" ein wenig erotisch entschärft, aber für die Stadtbibliothek war sie nach Auffassung von Becker, Bindseil, CDU und FDP immer noch zu scharf. Fand auch Paul Rohde, der sich als freier Mitarbeiter des "Burgdorfer Kreisblattes" im Januar 1984 in einem Artikel über Mieslinger und "Barbara" hergemacht hatte.
Der 1. Februar 1984 war mein erster Arbeitstag bei der Lokalzeitung, ich rief die Büchergilde an, bestellte das Buch, bekam es ein paar Tage später und nahm es mit in ein Café. Die erotischen Schilderungen langweilten mich bereits nach kurzer Zeit, also machte ich mich auf den Weg zum Verlag, mein Chef stand vor seiner Bürotür: "Hier haben schon ein halbes Dutzend Leute angerufen."
Mit Paul Rohde einigte ich mich auf eine gewisse Arbeitsteilung, er ließ die "Barbara"-Gegner zu Wort kommen, ich widmete mich der Kunstfreiheit, bis Mieslinger die Kündigung bekam. Verwaltungschef und Büchereileiter hatten bis dahin mit so vielen Halbwahrheiten jongliert, dass überregionale Medien so manchen Schwindel nicht mehr durchschauten. Das galt auch für den "Spiegel". Der ebenfalls behauptete, auch ein Buch über Atombombenversuche sei wegen des Titels "Das Bikini-Atoll" in Porno-Verdacht geraten.
Hans-Peter Mieslinger klagte gegen die Kündigung, Gerhard Schröder hatte als Anwalt einen großen Medienauftritt vor dem Burgdorfer Gericht, der Richter ließ auch ein Kamerateam des NDR in den Saal: "Aber nur, wenn Sie ein paar Aufkleber für mich dabei haben." Hatte der Norddeutsche Rundfunk. Der Büchereileiter bekam eine Abfindung in Höhe von 40 000 Mark, gründete von diesem Geld eine Bücherei in Celle - "Barbara" nahm er nicht mit.
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